Google+ Julias Buchblog: Bedroht die Amazon-Flatrate das Kulturgut Buch?

Mittwoch, 8. Oktober 2014

Bedroht die Amazon-Flatrate das Kulturgut Buch?

Eben bin ich bei Literaturen über einen kritischen Artikel zur neuen Amazon-Flatrate gestolpert. Im Wesentlichen ging es darin um das Problem, dass durch Flatrate-Modelle Bücher nicht mehr gezielt ausgesucht und dann auch gelesen werden, sondern massenhaft heruntergeladen werden können und so die Sammelleidenschaft ansprechen, das Haben-wollen statt das Lesen-wollen. Die Autorin befürchtet, dass damit das einzelne Kunstwerk in der schieren Menge untergeht und sich so unser Leseverhalten und der Blick auf Bücher verändert: "Ich will Bücher, egal in welcher Form, ob digital oder analog, nicht wegkonsumieren wie ein Fast Food Menü."

Fand ich den Einstieg in den Artikel noch schlüssig, wuchs mein innerer Widerstand beim Lesen immer mehr. Das Fazit war: Bücher "sind Kulturgut, keine Massenware." Spätestens da wusste ich, dass ein Kommentar unter dem Artikel wohl nicht reicht, um meine Probleme mit dieser Position auszudrücken. Bücher sind Kulturgut, eben WEIL sie Massenware sind. Vorher wurden sie von Hand abgeschrieben und als Kostbarkeit gehortet - und entsprechend winzig war der elitäre Leserkreis. Zum allgemeinen Kulturgut wurden sie erst, als der Buchdruck die Herstellung und Verbreitung erschwinglich machte.

Um das Kulturgut Buch nicht nur für viele, sondern für alle, unabhängig von ihrer finanziellen Lage, zugänglich zu machen, gibt es öffentliche Büchereien. Auch da hat der Leser zehntausende Bücher zur freien Wahl. Ob Bücherei, Onleihe oder Flatrate, entscheidend für den Leser ist doch nur, wie er die Bücher wahrnimmt, die er dann tatsächlich liest. Ok, in der Bücherei gibt es für begehrte Bücher Wartelisten, die fallen (wenn ich das richtig verstanden habe) bei der Flatrate weg. Dafür dürften fast alle dieser Bestseller bei der Flatrate gar nicht erhältlich sein, weil die grossen Verlage bei der Amazon-Flatrate nicht mitmachen. Logisch, denn unbegrenzt Bücher zum Fixpreis, das rechnet sich für die Verlage nicht, und die kleinen sind wohl nur dabei, weil sie so auf eine größere Bekanntheit ihrer Bücher hoffen. Insofern hat die Flatrate sogar den Vorteil, dass sie die Leser vom Bestseller-Einheitsbrei wegführt und auch unbekannten Büchern ohne großes Werbebudget eine Chance bietet. (Wie die Flatrate wirtschaftlich gesehen auf den Buchmarkt wirkt, ist eine ganz andere Frage, aber mein Post wird sowieso schon lang, da kann ich aktuell nicht auch noch darauf eingehen.)

Mein Hauptkritikpunkt an diesem Artikel ist aber die Vorstellung, dass jedes Buch als Kunstwerk zu sehen ist. Nur ein Bruchteil dessen, was im Bereich Belletristik veröffentlicht wird, ist tatsächlich Literatur. Und damit meine ich jetzt nicht einmal wirklich billig gemachte Groschenromane. Aber wenn Commissario Brunetti in seinem 22. Fall ermittelt, dann steckt da hauptsächlich solides Handwerk dahinter und wenig künstlerische Ambitionen. Und sind die "Shades of Grey"-Bücher tatsächlich etwas anderes als Belletristik-Fast Food? Das ist nicht abwertend gemeint, denn (um beim Vergleich mit dem Essen zu bleiben) ich erwarte in den meisten Restaurants keine Gourmet-Küche, sondern solide Hausmannskost, und auch das Sandwich für unterwegs hat seine Daseinsberechtigung. Warum sollte das bei Büchern anders sein? Die Bücher, die mir wirklich am Herzen liegen, weil ich ihre Qualität überzeugt hat, die will ich sowieso in gedruckter Form in meinem Regal stehen haben, auch wenn ich sie über ein digitales Leihsystem entdeckt habe. Aber die seichte Strandlektüre darf nach dem Urlaub gerne wieder von meinem Reader verschwinden, statt Papier und Platz zu brauchen.

Zudem ist genau diese Vorstellung des Buchs als Kunstwerk doch dafür verantwortlich, dass der Buchmarkt jedes Jahr mit zehntausenden selbstverlegten Ebooks überschwemmt wird. Nicht jeder, der Gitarre oder Klavier spielen kann, ist ein Künstler, das ist fast allen Leuten klar. Aber der größte Teil derer, die ein Buch schreiben, meinen nun, sie hätten ein Kunstwerk erschaffen. Und wenn die Verlage das Manuskript ablehnen, dann sind die eben zu blöd, den künstlerischen Gehalt richtig zu erkennen. Dass der Grund für die Absage fast immer in akuten handwerklichen Mängeln liegt und man Schreiben eben auch lernen muss, sehen nur die wenigsten.

Insofern plädiere ich dafür, den Schriftsteller primär als Handwerker zu schätzen. Ob er sein Metier wirklich gelernt hat oder es darin sogar zur absoluten Meisterschaft gebracht hat, kann man aber meistens erst nach einer Kostprobe feststellen. Und wenn eine Flatrate dabei hilft, den aktuellen Lesehunger gezielt zu befriedigen, kann ich das aus Sicht des Lesers nicht schlecht finden. Ob es sie dafür aber tatsächlich braucht, ist fraglich. Ich werde sie nicht nutzen, aber nicht, weil ich ein Problem mit Fast Food-Belletristik habe, sondern weil ich sie aus wirtschaftlicher Sicht für Leser und Verlage unbefriedigend finde.

9 Kommentare:

  1. Liebe Julia,

    ich danke dir für deine Antwort auf meine Position! (verlinke sie auch gern noch im Artikel)
    Ich glaube - und als gelernte Buchhändlerin bin ich mir dessen mehr als bewusst - es ist unstrittig, dass nicht jedes Buch ein Kunstwerk ist und man auf viele gut und gern verzichten könnte. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das ändert für mich aber nichts am Stellenwert des Buches an sich. Ich habe die Ausbildung zur Buchhändlerin gemacht, eben weil ich der Auffassung bin, dass Bücher verkaufen etwas anderes ist als Waschmittel oder Gebrauchsgegenstände anzubieten, die jeder braucht und die eben bloß dazu da sind, verbraucht zu werden. Nur, weil es auf dem Buchmarkt Dinge gibt, die literarisch nur minderer Qualität sind, kann ich ja nicht grundsätzlich behaupten, ein Buch zu schreiben, sei keine Kunst. Wenn ein Film schlecht gemacht ist, sage ich ja auch nicht, das Filmemachen an sich habe nichts mit Kunst zu tun, sondern ausschließlich mit Handwerk. Freilich ist Handwerk ein Teil dessen, aber doch längst nicht alles.

    Herzlich,
    Sophie

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    1. Liebe Sophie,

      Ich behaupte nicht, dass Bücherschreiben rein eine Frage der richtigen Technik ist, da gehört Talent selbstverständlich dazu. Aber braucht ein guter Handwerker nicht auch eine Begabung für seinen Beruf? Und klar ist Bücher verkaufen etwas anderes als Waschmittel, weil es dabei nicht um messbare Daten geht, sondern um den Geschmack des Lesers, was neben grossem Fachwissen auch viel Menschenkenntnis verlangt. Aber für mich sind Unterhaltung und Kunst nicht deckungsgleich. Und 95% der Bücher (wie bei Film und Musik übrigens auch) bieten zwar gute Unterhaltung, sind aber noch keine Kunst. Das macht sie für den Moment des Lesens nicht minderwertig, aber ich habe da ganz andere Ansprüche an Umgang und Besitz.

      LG, Julia

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  2. Verlage und etablierte Autoren haben es, wie die Filmindustrie, leider nicht geschafft, ihre Vertriebswege dem digitalen Zeitalter und den Kundenwünschen der Internetgeneration anzupassen. Und jetzt sind sie sauer, weil ihnen gewieftere Leute das Geschäft wegschnappen. Aber anstatt nun zu versuchen endlich mit der Zeit zu gehen und Boden gut zu machen, beschreitet man den Weg des Lobbying und geht die Politik um maßgeschneiderte Gesetze an, damit nur ja alles so bleibt wie es ist (siehe Buchpreisbindung für E-Books).
    Dass es auch anders funktioniert, zeigt die Musikindustrie, die, spät aber doch, Abo- bzw. Pauschalangebote (Spotify) ermöglicht hat.

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    1. Das Beispiel mit der Musikindustrie hat aber den gewaltigen Haken, dass von Angeboten wie Spotify allerhöchstens die ganz großen Medien-Konzerne und einige wenige weltweit erfolgreiche Superstars zumindest halbwegs profitieren. Die überwiegende Masse der Musikschaffenden, also nicht ganz so bekannte Künstler und kleinere, unabhängige Plattenlabels bekommen finanziell praktisch gar nichts vom Kuchen ab. Letzten Endes können sie nur hoffen, dass ein paar Leute irgendwann auch mal einen "echten" Tonträger oder ein Konzertticket ihrer "Spotify-Entdeckungen" kaufen.

      Von einem funktionierendem System zu sprechen, ist also ein wenig arg hoch gegriffen...

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    2. Das ist auch mein eigentlicher Kritikpunkt an dieser Amazon-Flatrate. Ich glaube nicht, dass sich das für die Verlage irgendwie rentieren kann. Und dann werden noch mehr "Bücher" ohne jede Form von Lektorat oder einer anderen Qualitätskontrolle auf den Markt geworfen, weil die kleinen Verlage eingehen, während die grossen den üblichen Bestseller-Einheitsbrei bieten...

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    3. Ich verstehe die Kritik nicht. Natürlich verdient eine unbekannte Band bei Spotify in Relation zu großen Stars recht wenig. Das war aber auch bei Tonträgern bisher nicht anders, von deren alleinigen Verkauf nur relativ wenige Musiker vernünftig leben konnten.
      Ich persönlich habe jedoch bei Spotify etliche Musiker für mich entdeckt, deren CDs ich nie im Plattenladen probegehört und anschließend gekauft hätte. Online ist das Schmökern einfach komfortabler und auch die automatisierten Empfehlungen, die auf meinen Musikgeschmack zugeschnitten sind, bevorzugen keinesfalls die Stars.

      Natürlich kann man gegen Amazon rittern, aber gleichzeitig werden im Netz unzählige "alternative Gratis-Angebote" geschaffen, an denen die Verlage rein gar nichts verdienen.

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  3. Mir wurde schon mal vorgeworfen, ich würde Bücher nicht zu würdigen wissen, weil ich für einen 1000-seitigen Wälzer nicht drei Monate, sondern höchstens vier Tage benötige (sofern ich entsprechend freie Zeit habe und das Buch mir gefällt, muss ich dazu sagen ^^ - wenn ein Buch öde ist, zieht es sich ja wie Kaugummi...) und ich würde sie herunterschlingen, statt zu genießen.
    Daher finde ich die Vorwürfe in Hinblick auf das Konsumieren von Büchern sehr interessant bzw. manchmal grenzwertig lächerlich. Klar, für mich ist ein Buch nicht in dem Maße ein Konsumgut wie beispielsweise eine Banane - aber ich habe einen sehr hohen Verbrauch an Büchern und zwar im Moment zufällig auch einen hohen SUB, der ist aber in den Ferien beachtlich zusammengeschmolzen und um meinen Lesehunger auch nur ansatzweise zu stillen, lese ich auch sehr viele E-Books.
    Dazu muss man sagen: Alle kostenlosen Amazon-E-Books, die ich mir runterlade (ob Klassiker oder Indie) lese ich auch. Bis zum Ende. Teilweise egal wie schrecklich das Buch ist (gerade bei 15-Jährigen, die ihr "geniales" Werk einfach per KDP auf den Markt werfen kann es seltsame Stilblüten treiben), weil ich bei manchen Autoren Potential wittere, auch wenn das Endprodukt E-Book im Moment noch ziemlich roh ist. Denn ich bin neugierig, möchte Neues kennenlernen abseits von dem, was "alle" lesen.
    (Einer der Gründe, aus dem Flocke und ich einen Buchblog gegründet hatten? Wir hatten irgendwie das Gefühl, dass auf einem Teil der Buchblogs zur selben Zeit immer dieselben gerade gehypten Büchern rundgehen - nicht bei dir, nicht bei den Buchbloggern die wir so lesen, aber in der "Szene" allgemein. Und wir wollten das Netz mit ein paar Nischenrezensionen füttern... oder jedenfalls ich ^^)
    Im Moment rentiert sich für mich eine solche Flatrate nicht, weil ich nur sehr selten kostenpflichtige E-Books runterlade und da meist von Verlagen/Autoren, die ich kenne und deren Werke auf andere Weise nicht zu bekommen sind (momentan denke ich darüber nach, mir "Unglumrian" von Susanne O'Connell runterzuladen, muss aber erst mit meinem aktuellen E-Book fertigwerden). Und die ich bewusst mit meinem Geld unterstützen möchte.
    Aber wer weiß, ob sich das nicht irgendwann ändert? Ich bin schon mal froh, dass es sowas gibt und bin gespannt, wie es sich in Zukunft entwickelt.

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    1. Der Reiz, Neues entdecken zu können, wäre auch für mich ein Grund, eine Flatrate mal auszuprobieren. Ich schlage gern ein Buch irgendwo auf und lese zwei Seiten, um zu testen, ob ich den Stil mag. Denn eine Leseprobe bietet nur den Anfang und kann darüber hinwegtäuschen, dass der Rest des Ebooks noch ziemlich roh ist. Diese Option gibt es bisher nicht, das würde eine Flatrate bieten. Und ja, ohne Bücherei und kostenlose Ebooks wäre ich entweder schon längst verarmt oder müsste meinen Lesehunger zügeln - beides keine tolle Aussichten ;)

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  4. Hochinteressantes Thema, das man vielfältig diskutieren kann. Ich freue mich grundsätzlich immer, wenn gelesen und darüber geredet wird. Passiert meines Erachtens nach viel zu selten. Und ich finde, es genau das Tolle daran, dass sich jeder dem Lesen und den Büchern zuwenden kann, wie es ihm am besten passt: Als Sammler und Weniger-Leser, als leidenschaftlicher Schmökerei, als verkopfter Wissenschaftler, als Verschlinger oder auch als Leseanfänger. Bücher können einfach alles und für jedes Bedürfnis gibt es ein Buch.
    Daher finde ich es per se nicht schlecht, wenn es so etwas wie eine Flatrate gibt. Für die Verschlinger ist das sicher super. Aber wie das für die Verlage ist, ist natürlich eine andere Sache. Und das Thema Amazon und Bücher ist ja grundsätzlich sowieso ein sehr schwieriges Thema...

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