Google+ Julias Buchblog: Pierre Bayard - Wie man über Orte spricht, an denen man nicht gewesen ist

Samstag, 16. März 2013

Pierre Bayard - Wie man über Orte spricht, an denen man nicht gewesen ist

Wie man über Orte spricht, an denen man nicht gewesen ist
Pierre Bayard
ISBN 9783888978258

Marco Polo ist nie weiter gereist als Konstantinopel, trotzdem wurden seine Geschichten über seine Abenteuer in China als authentische Reiseberichte gefeiert. Dass darin Einhörner und Menschen mit Hundeköpfen vorkamen, störte offenbar niemanden, weil Marco Polos Bericht den Vorstellungen seiner Zeitgenossen vom exotischen fernen Osten gerecht wurde. Ebensowenig zweifelten tausende begeisterte Leser von Karl Mays Abenteuerromanen daran, dass dieser all diese Geschichten selbst erlebt hatte oder zumindest nur seine eigenen Erfahrungen etwas ausschmückte. Nach dem Erfolg der Bücher organisierte Reisen lieferten dann auch „authentische“ Fotos, um die Neugierde der Fans zufrieden zu stellen. Vielen Schriftstellern gelang es offenbar vorzüglich, über ferne Länder zu schreiben, ohne sich vom heimischen Schreibtisch wegzubewegen. Daraus entwickelt Bayard in seinem Essay seine Theorien über den „sesshaften Reisenden“ und warum dessen Schilderungen aus der Distanz oftmals authentischer sind, als wenn dieser die beschwerliche Reise tatsächlich auf sich genommen hätte.

Nach den Büchern, die man nicht gelesen haben muss, widmet sich Bayard also nun den Reisen, die man nicht gemacht haben muss, um trotzdem darüber reden (oder eben schreiben) zu können. Hinter diesem provokanten Titel verbirgt sich nicht wirklich ein Ratgeber, sondern ein facettenreicher Überblick über die Kunst des literarischen Reisens. Auch diesmal verdeutlicht Bayard seine Thesen dadurch, dass er sie am Leser selbst testet und diesen gekonnt in die Irre führt. Aber auch wenn dieses Buch einen großartigen Überblick über die verschiedensten Schriftstellern und ihre geographische Ausflüge bietet, so kann es mit dem Reiz, den Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat entwickelt hat, doch nicht ganz mithalten. Letztlich finde ich Bayards These, dass nicht die tatsächliche Anwesenheit an einem Ort entscheidend sei, sondern die „literarische Wahrheit“, die dem Leser einen authentischen Eindruck davon vermitteln kann, relativ banal. Bei seinen Lesern durch eine glaubwürdige, nachvollziehbare Schilderung ein plastisches Bild eines bestimmten Ortes entstehen zu lassen, ist eine Kunst, die einen guten Autor auszeichnet, unabhängig davon, ob sich dieser Ort nun real existiert oder ein reines Phantasieprodukt ist. Das nimmt Bayards Essay zwar nichts von der Faszination seines literarischen Feuerwerks, lässt den argumentativen Aufbau aber etwas arg aufgebauscht wirken.

Herzlichen Dank an den Antje Kunstmann Verlag für das Rezensionsexemplar!  

2 Kommentare:

  1. Das Buch würde mich interessieren, da ich es mir leider nicht leisten kann, die ganzen Handlungsorte zu bereisen, über die ich schreibe - und teilweise ist es nicht möglich, da es historische Orte sind.
    Danke fürs Vorstellen :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wenn dich das Buch interessiert, frag doch beim Verlag nach einem Rezensionsexemplar. Meine Rezi ist die erste deutschsprachige überhaupt, das Buch ist erst seit einer Woche auf dem Markt, da dürfte der Verlag froh sein um weitere rezensier-willige Blogger. Und thematisch kann ich mir das bei euch Weltenbastler gut vorstellen, da es oft darum geht, was eine Ortsbeschreibung ausmacht, damit der Leser sie als glaubwürdig empfindet.

      Löschen