Google+ Julias Buchblog: Grammatikregeln als Mittel der Diskriminierung?

Samstag, 23. April 2016

Grammatikregeln als Mittel der Diskriminierung?

Über Facebook bin ich gestern auf ein Video gestoßen, dass mich im ersten Moment an einen verspäteten Aprilscherz glauben ließ. Leider meint Mona Chalabi, Data Editor beim Guardian, jedes Wort davon ernst, wenn sie sich über "Grammar Snobs" und deren Neigung, andere zu korrigieren, auslässt. Ihre Schmährede gipfelt in der Aussage: 
“The people pointing out the mistakes are more likely to be older, wealthier, whiter, or just plain academic than the people they’re treating with condescension. All too often, it’s a way to silence people and that’s particularly offensive when it’s someone who might already be struggling to speak up.”  
Im Klartext sagt sie also: Statt andere zu korrigieren, sollten die Grammatik-Besserwisser den Mund halten und zuhören, weil alles andere diskriminierend sei.

Schlimm genug, dass eine Journalistin, deren Werkzeug ja die Sprache ist, sich derart über den angeblichen Unsinn von Grammatikregeln äußert. Deutlich beunruhigender fand ich dann allerdings die weitere Verbreitung dieses Videos auf Facebook und die vielen zustimmenden Kommentare dazu, auch von Deutschsprachigen, wo dann hemmungslos gegen die "Grammatik-Nazis" gewettert wird.

Dass Sprache als soziales Distinktionsmerkmal dient, gerade in England, kann man durchaus als Problem sehen. Aber daraus zu schließen, dass korrekte Sprache und deren Betonung in erster Linie dazu dient, Minderheiten zum Schweigen zu bringen und zu unterdrücken, finde ich schlicht haarsträubend. Sprachliche Fehler sind fast immer ein Zeichen von geringer Bildung. Dass man sich darüber nicht lustig machen, ist eigentlich selbstverständlich, aber deswegen darf und sollte man das trotzdem thematisieren. Chalabi und ihre Fans fordern nicht, etwas gegen diesen Bildungsmangel zu unternehmen, sondern verlangen stattdessen, darüber hinwegzusehen und Ignoranz letztlich als "normal" zu betrachten. Sich auf das niedrigste gemeinsame Niveau zu beschränken, statt ein gewisses Beherrschungs-Grundlevel anzustreben, ist jedoch immer falsch, egal um welche Fähigkeit es geht. Und Grammatik ist nicht fakultativ, sondern ein elementarer Bestandteil von Sprache, der Missverständnisse vermeiden hilft.

Darüber hinaus nützt es den angeblich benachteiligten und unterdrückten Gruppen und Schichten gar nichts, wenn man sie in ihren Fehlern noch bestärkt. Denn wer Sprache selbst nicht richtig einsetzen, also korrekt sprechen und schreiben kann, kann sie in den allermeisten Fällen auch nicht umfassend verstehen, und das ist letztlich eine Basisfähigkeit, die in unserem Alltag schlicht elementar ist. Wer ein Formular nicht richtig verstehen und ausfüllen kann, hat im Umgang mit Behörden oder Versicherungen ein riesiges Problem. Wer nicht fähig ist, eine Bewerbung oder schon nur eine Mail verständlich und korrekt zu schreiben, wird beruflich kaum vorankommen. Nun sind aber ein Job, ein Pass und eine Krankenversicherung kein bildungsbürgerlicher Luxus, sondern eine schiere Notwendigkeit.

Eine sichere Sprach-Beherrschung ist eine Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Leben, und da gehört die Beherrschung von Grammatik ebenso dazu wie ein ausreichend großer Wortschatz. Gerade eine Journalistin, die von ihrer Beherrschung der Sprache lebt, müsste das eigentlich wissen. Statt den angeblichen Besserwissern Diskriminierung und Rassismus vorzuwerfen, sollten sie und ihre Anhänger sich lieber dafür engagieren, dass ein möglichst großer Personenkreis einen adäquaten Umgang mit Sprache lernen kann!

11 Kommentare:

  1. Also ich kann durchaus beide Seiten verstehen, denn oft findet man es ja in den sozialen Medien, dass ein einzelner Schreibfehler gleich die ganze Meinung ins Lachhafte zu ziehen scheint. Da kann ein Vertipper schnell als Indiz für Dummheit interpretiert werden, und das finde ich nicht richtig. Auch mit Schreibfehlern kann man eine sinnvolle Meinung äußern.
    Auf der anderen Seite kann ich dir nur zustimmen. Sprache dient der Distinktion und war schon immer Mittel der Macht. Als Akademikerin fallen mir immer wieder einzelne Studenten auf, die gute Gedanken haben, diese aber grammatisch und begrifflich nicht auf ein akademisches Niveau bringen können. Was das nun bedeutet und wie man damit umgehen sollte, das ist eine offene Frage, die man durchaus diskutieren kann. Denn gerade Studenten aus bildungs"fernen" Schichten sind davon natürlich betroffen, und die sind ja sowieso nach wie vor rar.

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    1. Dass man sich nicht über Fehler anderer lustig macht, sollte eig. selbstverständlich sein. Aber das Gegenüber auf einen grundsätzlichen Grammatikfehler aufmerksam machen (solange das nett und höflich geschieht), finde ich ok. Woher soll der andere denn sonst wissen, was er verbessern kann? Klar ist die Herkunft ein Faktor bei der Sprachbeherrschung, aber das schliesst eine Entwicklung ja nicht aus. Und daraus gleich einen Rassismusfall zu basteln, ist dann schon nochmals eine andere Schuhnummer.

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  2. Das Wichtige hier ist Kontext: Journalisten, Autoren und andere bedienen sich einer etwas anderen, vor allem stärker regulierten Variante ihrer Sprache. Die Sprachwissenschaft kennt das als "Register" und jede Sprache hat zahlreiche Register mit teils sehr unterschiedlichen Grammatikregeln und auch Wortschätzen/Wortbedeutungszuordnungen. Viele dieser Regeln sind im Sprechalltag lockerer und wer die Regeln aus dem einen Bereich im anderen für ein Argument hält, dem kann man durchaus eine Art Chauvinismus vorwerfen, zumal dabei das eigentliche Argument des "Korrigierten" schnell in den Hintergrund gerät.
    Aus der Sicht der Linguistik ist dau zu sagen: Grammatik und ihre Regeln werden von den Sprechern gemacht. Es gibt (in den meisten Sprachen, darunter auch im Deutschen) keine Institution mit der Befugnis, die korrekten Regeln für die gesamte Sprache zu bestimmen. Sprache hat keinen Erfinder und sie hat keine Regulierer, dies haben nur einzelne Verwendungsfälle von Sprache.
    Das Missverständnis ist hier, es gäbe die eine deutsche Sprache und alle anderen Varianten, Verwendungsformen und Situationen sind falsch. Richtig und falsch gibt es in der Sprache aber nur im Bereich der Rechtschreibung - und die ist streng genommen nicht Teil der Sprache, sondern lediglich ein System zur Wiedergabe von Sprache (so wie ein Radio kein Musikinstrument ist).
    Besonders übel sind Fälle wie Bastian Sick mit teils frei erfundenen, ohne weitere Begründung auf persönlichen Vorlieben beruhenden oder gar der Sprechrealität widersprechenden Regelbehauptungen.

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    1. Als Schweizerin in Berlin ist mir sehr bewusst, dass es DIE deutsche Sprache nicht gibt, und auch keine Instanz, die allgemein gültige Regeln festlegen kann (übrigens auch im Bereich der Rechtschreibung nicht, auch wenn der Duden als allgemeine Richtlinie funktioniert). Trotzdem gibt es Grammatikregeln, da die Mehrheit der Sprachnutzer letztlich definiert, was Usus ist und was nicht (selbst wenn das Puristen und Sprachprofis nicht immer passt, wie etwa bei Präpositionen mit Genitiv). An diese Regeln sollte man sich halten, wenn man verstanden und ernst genommen werden will. Und ich halte wenig von besserwisserischem Getue, aber man muss auf diese Regeln verweisen dürfen, ohne deshalb als Rassist oder Grammatik-Nazi diffamiert zu werden!

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    2. Da kann ich auch nur zustimmen. Und Nazi hat man mich wegen solcher Sachen auch schon genannt. Aber gerade als Lateinlehrerin weiß man Grammatik vielleicht auch ganz anders zu schätzen. Ich habe aber auch das Gefühl, dass Sprache heute wieder deutlich mehr polarisiert, dass die Sprachkenntnisse sich immer stärker unterscheiden zwischen verschiedenen Klassen. Ich habe auch schon mit Grundschülern Nachhilfe gemacht, die Lesebücher hatten, in denen Dinge (mit Absicht) falsch geschrieben waren. Und ich finde es irgendwie seltsam, dass Kinder in der Grundschule inzwischen teilweise lernen, zu schreiben wie sie wollen, wenn im Abi und im Berufsleben dann doch wieder die EINE Rechtschreibung verlangt wird. Ich glaube, mit dieser "Liberalisierung" von Sprache schafft man einfach nur wieder mehr Ungleichheit.

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    3. Lehrbücher mit gewollt falsch geschriebenen Wörtern, ernsthaft?! Ich verstehe ja, dass man bei Anfängern gewisse Dinge nicht korrigiert, um ihnen die Freude am Schreiben nicht zu rauben, aber etwas absichtlich falsch zu schreiben (und zu drucken!) ist dann doch nochmal was ganz anderes. Kein Wunder, dass solche Schüler sich später zu Regelverweigern entwickeln, wenn man ihnen das quasi mit den ersten Buchstaben so beibringt! Und ja, auf Dauer erweist man ihnen definitiv keinen Dienst, denn spätestens als Arbeitsgeber möchte man doch Angestellte, bei denen einem nicht jede Mail peinlich sein muss.

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  3. Ich verstehe die ganze Aufregung - ehrlich gesagt - nicht wirklich. Was im Video kritisiert wird, sind herablassende Menschen, die sich über ihre Sprache und ihren Sprachgebrauch definieren und sich dadurch über andere Menschen, denen dies nicht gegeben (oder vielleicht auch nur weniger wichtig ist), erheben und erheben wollen. Ein extremes, wohl auch nur rhetorisches Negativbeispiel in diesem Bereich ist immer "Pygmalion". Ja, sie kann jetzt sprechen, sagt ihr nun vielleicht. Aber ja, sie hat auch ihren Charakter verloren. Und wollen wir dies unseren Mitmenschen antun?

    Es stimmt, Sprache ist Kommunikation, Integration, Gerechtigkeit und dabei ist es von eminenter Wichtigkeit, festgelgte - oder manchmal auch gängige und geläufige - Regeln zu kennen und richtig zu verwenden.
    Es gibt jedoch einige Mittel, die in der gesprochenen Sprache, also der direkten Konfrontation und dem Dialog mit dem Gegenüger wichtiger sind, als blosse Worte. Tonfall, Gestik, Mimik und die persönliche Beziehung zwischen den Sprechern machen aus, wie gesprochene Sprache wirkt und berührt.
    Fehler sind in diesem Falle ein schwieriges Thema. Niemand schreibt und spricht komplett fehlerfrei und seien es nur Tippfehler, die bei einer Korrektur übersehen worden sind oder Versprecher, die nicht sofort bemerkt werden. Darauf hinzuweisen und sich so über andere zu erheben, ist lächerlich, kleinlich und respektlos. In jedem Fall.

    Menschen aber im direkten Dialog und vorsichtig auf Fehler hinzuweisen, kann - gerade bei fremdsprachigen Mitmenschen - hilfreich und erwünscht sein. Sinnvoll ist es dabei, mit fremdsprachigen Freunden ein paar Regeln aufzustellen oder zu fragen, inwiefern Korrekturen überhaupt erwünscht sind, bevor man ungefragt korrigiert. Da Sprache auch sehr persönlich ist, kann dies nämlich einer ungewollten Berührung gleich kommen. Ausserdem gilt es auch in diesem Fall, den gesunden Menschenverstand nicht auszuschalten. Heult sich eine ausländische Mitstudentin bei mir aus, korrigiere ich ihre Präpositionen nie oder greife nur helfend ins Gespräch ein, wenn sie nach Worten sucht, was vielleicht jetzt nur logisch scheint, wohl aber nicht allen Menschen klar zu sein dürfte. Leider.

    Spricht man aber Fehler an, sucht man also am besten das persönliche Gespräch und kommuniziert zuerst seine Absichten, bevor man mit der Tür ins Haus fällt. Denn hier gilt noch mehr als in anderen Bereichen, dass der Ton die Musik macht. Wie schon erwähnt, Sprache ist für viele Menschen nicht blosse Kommunikation mit Worten oder gar Mittel zum Gebrauch, sonsern in erster Linie mit Emotionen behaftet und sehr individuell. Wer einem Menschen in diesem Bereich zu nahe tritt, ungefragt eingreift in Dinge, die ihn nichts angehen und so Verletzungen schafft, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind, hat kontraproduktiv, respektlos und herablassend gehandelt. Wer von uns kennt nicht die Situation, im Fremdsprachenunterricht vom Lehrer so sehr zusammengestaucht worden zu sein, dass man sich gar nicht mehr zu sprechen traut? Oder wer war noch nie dabei, wenn dies einem Mitschüler, Freund, Kind passiert ist? Eben.

    Was mich eher überrascht ist, dass du dich von den Aussagen und Ideen des Videos so sehr provoziert fühlst. Vielleicht liegt eher da der (kommunikative) Hund begraben, dem wir alle uns manchmal schonungslos offen stellen müssen.

    Ein schönes Pfingstwochenende dir
    Livia

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    1. Mein Problem ist nicht mal so sehr das Video, auch wenn ich die Rassismuskeule in diesem Zusammenhang hochgradig unangebracht finde. Mich haben vor allem die Reaktionen darauf gestört, die breite Zustimmung und Verallgemeinerung. Da kamen rasch Aussagen wie: "Ich spreche, wie es mir passt, Regeln sind mir egal, und wer sich daran stört, ist ein Sprach-Faschist."

      Klar gibt es Leute, gerade Nicht-Muttersprachler, die die Sprache nicht besser beherrschen. Da ständig den Zeigefinger zu erheben ist tatsächlich unangebracht, vor allem wenn es in herablassendem Tonfall geschieht. Aber wer gängige Sprachregeln ignoriert, obwohl er es eigentlich besser weiss, ist schlicht unhöflich und signalisiert dem Gegenüber damit, dass es den Aufwand einer korrekten Sprechweise nicht wert ist. Klar ist Sprache emotional und persönlich, aber das trifft auch auf den Empfänger zu, der ebenso respektiert werden sollte wie die eigene Individualität. Und als Nazi beschimpft zu werden, wenn ich etwas gegen solche (bewusste) Nachlässigkeiten einwende, finde ich hochgradig daneben.

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    2. Verstehe ich dich richtig, sprichst du gerade vom Video oder meinem Kommentar? Weil ich dich in keinster Art und Weise als Nazi oder Rassistin betitelt habe.

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    3. Ich habe natürlich das Video und die darauf Bezug nehmenden Facebook-Diskussionen gemeint! Aber mit der Aussage, dass die "Grammar snobs" älter, reicher und weisser seien als ihre "Opfer", macht es sich Chalabi sehr einfach. Das Problem ist ja letztlich nicht die Diskriminierung beim Sprachgebrauch, sondern die dem zugrunde liegende soziale Gliederung und die ungleiche Bildung. Aber mit Kraftausdrücken um sich zu werfen ist eben einfacher und aufmerksamkeitsträchtiger, als das eigentliche Problem zu thematisieren. Und die Facebook-Diskussionen waren dann das, was mich eigentlich dazu gebracht hat, das Thema aufzugreifen, denn was dort an verallgemeinernden Beschimpfungen kam, hat mich dann echt verärgert.

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    4. Ach so, dann ist ja alles gut :-)

      Dann verstehe ich dich sehr gut.

      Ich frage mich allerdings, ob es im deutschen Sprachraum ein wenig anders aussieht mit den Unterschieden zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten und eventuell ist auch das Bildungsgefälle beispielsweise in Deutschland weniger gross und somit würde man dort sicher auch anders argumentieren.

      Zurück zu Chalabi. Sie überspitzt zwar und provoziert, vereinfach und generalisiert. Aber denkst du nicht auch, dass sie im Prinzip mit gewissen Aussagen recht hat? Wenn ja - wie du sagst - die zugrunde liegende soziale Gliederung das Hauptproblem (oder eines der Hauptprobleme) ist, dann nützt eben das blosse Korrigieren von Fehlern nichts, da häufig die, welche eine korrigierende Funktion übernehmen, auch die sind, welche - vereinfacht gesagt - eine bessere Bildung genossen haben und dann bessere Stellen antreten durften usw.
      Sie sind somit direkt oder auch indirekt für die Ungleichheit verantwortlich, oder zumindest daran beteiligt. Ein Schlag ins Gesicht also, wenn sie sich dann auch noch die "Frechheit" herausnehmen, andere zu korrigieren, wenn sie besser versuchen würden, das System zu ändern. Verstehst du, worauf ich hinaus will? Unter diesem Gesichtspunkt kann ich nämlich die Argumentation von Chalabi durchaus nachvollziehen.

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